Einige Begriffe in der Einleitung haben dir gar nichts gesagt? Dann ab in die Fortbildung! Mitnehmen kannst du ein generelles Verständnis für die Kerninhalte, einen kleinen Werkzeugkoffers für die Vereinsarbeit und persönlichen Sensibilisierung. Dich erwartet eine große Vielfalt an Themen, die mit diversen Medien und Methoden aufbereitet wurden. Beginners are welcome.
Unsere Praktikantin Jana hat gemeinsam mit einigen anderen Teilnehmenden festgehalten, warum Personen im Sport diese Fortbildung absolvieren sollte und an Stellschrauben noch zu drehen sind.
Hard Facts
Die Fortbildung ist ein digitaler Selbstlernkurs und damit zeit- und ortsungebunden. „Rolle(n) vorwärts“ ist kostenfrei und ohne zeitliches Limit absolvierbar. Der Zeitumfang beträgt ca. 12 Stunden. Es müssen 16 Lerneinheiten absolviert werden (1 LE = 45 Minuten). Eine Anmeldung ist jederzeit möglich. Eine erfolgreiche Teilnahme kann als Lizenzverlängerung für Übungsleiter*innen C (Breitensport sportartenübergreifend), Vereinsmanager*innen C oder die Sonderlizenz „Selbstbehauptung und Selbstverteidigung“ angerechnet werden. Ihr findet das Fortbildungsangebot online auf www.sportbildung-online.de.
Inhaltsangabe
Die Fortbildung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Teilen. Der erste Teil „Frauen* im Sport: Geschlechterklischees & Zuschreibungen“ beginnt mit einer Einführungslektion zu den „Gender Basics“. Hier wird zunächst einmal erklärt, was es mit den Konzepten Geschlecht und Gender auf sich hat. In der Lektion 1 werden Geschlechterrollen in Sport und Alltag genauer unter die Lupe genommen. Wie entstehen Geschlechternormen? Woher wissen wir, dass Jungs blau und Mädchen rosa mögen? Anhand einiger Beispiele wird ein Verständnis für die Bedeutung von Geschlecht als soziale Konstruktion aufgebaut. Die historische Gewordenheit von Geschlechterzuschreibungen und die marginalisierte Position von Frauen wird anhand des Beispiels des „Hausfrauenparagraphs“ verdeutlicht. Um Ungleichheiten in der Gegenwart zu aufzuzeigen, werden die mediale (Re-)Präsentation und Bezahlungen (nicht nur im Spitzensport) aufgegriffen. In den folgenden zwei Lektionen geht es um die Themen: gendergerechte Sprache und Sexismus. Anschließend gibt es die Möglichkeit eine Lektion zu sexualisierter Gewalt zu bearbeiten, dies ist jedoch nicht verpflichtend. Die Teilnehmenden können individuell entscheiden, ob sie das Thema mit einbeziehen möchten. Nachdem im ersten Teil der Fortbildung immer wieder Ungleichheit und Sexismus angesprochen werden, wird in der abschließenden Lektion grundlegend erklärt, was unter “Diskriminierung” zu verstehen ist. Im zweiten Teil der Fortbildung „Geschlechtervielfalt im Sport“ wird auf dem erworbenen Wissen über Geschlecht und die soziale Eingebundenheit dessen aufgebaut. Hier steht die (strukturelle) Diskriminierung von LGBTIQA+ Personen im Vordergrund. Zunächst wird erklärt, was mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gemeint ist. Anschließend wird auf die Lebensrealitäten und (rechtlichen) Situationen von inter*- und trans*-Personen eingegangen. Es werden sowohl grundlegende Informationen vermittelt als auch sportspezifische Einblicke gegeben. Abschließend wird Gendermainstreaming als Möglichkeiten der Förderung von Chancengleichheit in Sportvereinen präsentiert. Beide Kurse enden jeweils mit einem Rückblick auf die Inhalte der Lektionen und einem kleinen Test. Dieser kann so oft wie nötig absolviert werden und wird beim erfolgreichen Bestehen mit einer Teilnahmebestätigung belohnt.
+ Große thematische Bandbreite, Methodenvielfalt und Sensibilisierung
Einige Dinge sind bei der Teilnahme am Kurs besonders positiv hervorgestochen. Die Lektionen und Inhalte sind anfänger*innenfreundlich aufgebaut. Alle Inhalte können mit den aufbereiteten Materialien bearbeitet oder nach eigenem Bedarf mit weiterführender Literatur intensiviert werden. Dadurch kann der Zeitaufwand selbst reguliert und Themen können nach Belieben vertieft werden. Die Lektionen sind mit einer Vielfalt an Methoden ausgeschmückt, hier werden alle Lerntypen fündig. Es werden kurze Videosequenzen und -reportagen, sowie Podcastfolgen herangezogen. Außerdem werden Grafiken und Schaubilder genutzt, um Inhalte zu visualisieren. Durch die interaktiven Elemente, Selbsttest, Rätsel und Rechercheaufgaben wird nicht nur Input geben, sondern die Teilnehmenden herausgefordert, selbst involviert zu sein und aktiv mitzuarbeiten. Besonders positiv hervorzuheben ist auch das Glossar. In der Fortbildung sind durchweg bestimmte Begriffe mit Erklärungen hinterlegt. Dies erleichtert das Verständnis von komplexeren Inhalten und Zusammenhängen. Mittels Reflexionsfragen werden die Teilnehmenden herausgefordert das Gelernte in die eigene Lebenswelt bzw. in den eigenen Verein zu übertragen und sich auf einer persönlichen Ebene mit den komplexen und teilweise belastenden Situationen auseinanderzusetzen. Dies unterstützt den Lerneffekt, da Verinnerlichtes und eigene Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden können.
Generell sind die thematischen Schwerpunkte vielfältig und geben einen Überblick über die Lebenswelten und -situationen von FIN*A und LGBTQ*-Personen. Dabei werden alle gesellschaftlichen Ebenen abgedeckt, sowohl Alltägliches also auch Sportspezifisches, von Breitensport bis Spitzensport über Medien, Politik, Verein oder persönlichen Interaktionen. Die ausgewählten Schwerpunkte sind höchst aktuell, so dass eine Teilnahme an der Fortbildung Personen dazu befähigt, das aktuelle Geschehen, politische Debatten oder Sexismusvorwürfe besser einzuordnen. In den letzten Jahren wurde immer häufiger über sexualisierte Übergriffe im Sport gesprochen oftmals ohne die Sensibilität dieses Themas mitzudenken. In diesem Kurs wurde mit dem Thema sexualisierte Gewalt im Sport sehr sensibel umgegangen, etwa dadurch, dass es nicht Teil des Pflichtprogramms war. Außerdem wurden Trigger Warnungen und Hilfestellung zur Verfügung gestellt, so dass Teilnehmende ihre eigenen Grenzen wahren und selbst entscheiden können, ob sie dieses Thema bearbeiten können und möchten. Dadurch können die Teilnehmenden nicht nur Inhalte, sondern auch eine sensibilisierte Umgangsform mit in ihre Vereine und Lebenswelten nehmen.
– Alles war super! und ein bisschen „Meckern auf hohem Niveau“
Allgemein waren alle Stimmen, die uns erreicht haben, von dem Fortbildungsangebot positiv angetan. So sehr, dass kaum Kritik geäußert wurde. Die folgenden Kritikpunkte sind definitiv unter „Meckern auf hohem Niveau“ einzuordnen. Ein Angebot zu schaffen, das Alle gleichermaßen abholt, grenzt an eine Unmöglichkeit. Trotzdem finde ich es wichtig an dieser Stelle ein paar Punkte zu markieren über die ich – als Person mit Vorerfahrung im Bereich Gender und Queer Studies – gestolpert bin.
Zum einen sind ein paar Begriffe, die in der Fortbildung fallen in ihrer Bedeutung offen geblieben. In der Fortbildung wurde sich dafür entschieden, die Begriffe Frau*/Mann* zu verwendet. Es wäre hilfreich, diese Begriffe mit einem Glossareintrag zu hinterlegen, um nachvollziehen zu können, wer und was mit Frau* gemeint ist und Missverständnisse vorzubeugen. Generell wird Frau*/Mann* entweder als Selbstbezeichnung verwendet oder um zu zeigen, dass es sich Frau und Mann um sozial konstruierte Konzepte handelt. Manchmal wird der Begriff Frauen* genutzt, um „Frauen und andere (wie Trans*- Inter*- Oder Nicht-Binäre-Personen)“ zu beschreiben. Dies wäre jedoch nicht richtig. In diesem Fall wären die Begriffe FLINT* (FrauenLesbenInter*NichtbinärTrans*) oder FINT*A (FrauenInterNichtbinärTrans*Agender) eine sinnvolle Alternative. Zwischendurch wird von „Struktureller Diskriminierung“ gesprochen (zB Teil 1, Lektion 8, Seite 6, Karteikarte 9). Dies ist ein Konzept, das viele Menschen noch nicht kennen oder zur Gänze verstehen. Der Vorwurf von „Struktureller Diskriminierung“ innerhalb der Gesellschaft oder Organisationen und Institutionen fällt in öffentlichen Debatten immer häufiger. Eine Erklärung dieses Konzepts wäre deshalb hilfreich und sinnvoll.
Ein paar weitere Kleinigkeiten: der Begriff nicht-binär wird zwar innerhalb einer Lektion ausführlich erklärt, hat aber noch keinen Glossareintrag. Diesbezüglich: im Glossar wird von „intersektionellen Ansätzen“ gesprochen, vielleicht wäre der Begriff „intersektionale Ansätze“ zielführender, da so direkt auf den überschneidenden Charakter und die Begriffsherkunft aus der Metapher Kimberlé Crenshaw angespielt wird. Außerdem wäre es für das eigenen Zeitgefühl angenehm, eine Fortschrittsanzeige innerhalb der Lektionen zu haben.
Des Weiteren wäre es schön, wenn der Hinweis der Lektion über Sexualisierte Gewalt auch bei den Lektionen über Inter*geschlechtlichkeit und Trans* gegeben würde. Auch hier finden sich Passagen über Gewalterfahrungen, die für Betroffene ein sensibles Thema sein könnten. Eine Lösung wäre etwa „Content Warnings (CW)“ vor die entsprechenden Seiten oder Inhalte zu setzen. Ein wenig enttäuschend fand ich, dass auf der Teilnahmebestätigung, die jeweils nach Abschluss der Teile 1 und 2 ausgestellt wird, nur zwischen der Anrede Frau und Herr gewählt werden kann. Nachdem sich intensiv mit dem Thema geschlechtliche Vielfalt auseinandergesetzt wurde, wäre es schön gewesen, einen inklusiveren Weg zu finden, die Urkunde zu personalisieren.
Schade ist auch, dass viele Erklärvideos von einer „männlich gelesenen“ und/oder weiße Person bzw. Stimme moderiert werden. Dies ist keine Kritik an der Qualität des Inhalts, vielmehr möchte ich darauf aufmerksam machen, dass gesellschaftlich eine „männlich gelesene“ und/oder weiße Person als neutrale Wissenvermittlungsinstanz inszeniert wird.
Auch dies ist eine gesellschaftlich Machtfrage, steht im Zusammenhang mit Geschlechterzuschreibungen und sollte im Rahmen dieses Angebots mitgedacht werden.
Auch aufgrund der gerade genannten Punkt kam zwischendurch das Gefühl, auf die Fortbildung richtet sich hauptsächlich an Cis-Personen. Dies ist keineswegs verkehrt, da mit dieser Fortbildung eine Lücke in der Aufklärungs- und Diversitätsarbeit geschlossen wird. Für die Zukunft wünsche ich mir, diese Angebote wären vielzähliger und für alle im Sport Involvierten verpflichtend.
Fazit: Wir wollen mehr (Fortbildungen und Geschlechtergerechtigkeit)!
Die Fortbildung ist auf jeden Fall weiterzuempfehlen. Besonders Anfänger*innen und Personen, die ein erstes Verständnis für Geschlechtergerechtigkeit aufbauen möchten, bekommen hier einen Überblick über die grundlegende Konzepte, Begriffe und Hintergründe. Nach dieser Fortbildung wissen alle Teilnehmenden, warum sie in ihrem Alltag und Sportkontext geschlechtergerechte Sprache und Förderprogramme brauchen. Die Entwickler*innen der Fortbildung haben ganze Arbeit geleistet. Die Fortbildung ist interessant, aufschlussreich und von aktueller Relevanz.