IDAHOBIT: Der Sport zwischen Vielfalt und Ausgrenzung

Mai 17, 2021

Eine heteronormative Ordnung im Sport wird immer zu Ausschluss und Verletzung führen. Geschlechtliche und Sexuelle Vielfalt ist nicht etwa eine Besonderheit, sondern Teil unserer globalen Realität. Die misogyne Logik des Sports sorgt nicht nur dafür, dass FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-Binäre, Trans*, Agender) diskriminiert, ausgeschlossen und abgewertet werden, sondern auch schwule/bisexuelle Männer und Menschen Gewalt erfahren und unsichtbar gemacht werden. Sich gegen Homo-, Bi-, Inter*-, Trans*-Feindlichkeit einzusetzen, heißt auch Betroffenen zuzuhören, zu unterstützen und sich selbst zu fragen, inwiefern mensch selbst dazu beiträgt dieses System aufrecht zu erhalten.

Heute ist der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter*- Trans*-Feindlichkeit. Doch Diskriminierung sollte nicht nur an einem Tag im Jahr, sondern grundsätzlich sichtbar gemacht und entgegengetreten werden. Höchste Zeit, dass Equaletics-Mitglied Jana den Sport genauer unter die Lupe nimmt und aufzeigt, dass auch der Sport an einigen Stellen  Homo-, Bi-, Inter*- Trans*-feindlich ist.

Content Warning: Gewalt- und Ausschlusserfahrungen von LGBTQIA*-Personen

Egal, wohin man im Sport schaut, die Einteilung ist oftmals recht klar: Es gibt Klassen für Männer und es gibt Klassen für Frauen und damit verknüpft klare Vorstellungen, wie die Athlet*innen auszusehen und sich zu verhalten haben.

Damit ist die Diskriminierung von inter*- und trans*identen, sowie homosexuellen und bisexuellen Personen fast schon vorprogrammiert.  Diese Diskriminierung tritt in verschiedenen Facetten auf, angefangen von verbalen Angriffen über einen Ausschluss vom Sport bis hin zur körperlichen Gewalterfahrungen.

Das Hauptproblem des Sports: Geschlechtsidentität wird anhand von biologischen Merkmalen festgemacht. Dabei wird ignoriert, dass Geschlecht viel mehr ist als, eine biologische Disposition und nicht immer dem Gedanken der Zweigeschlechtlichkeit folgt.

Die enge Verknüpfung von Sport (insbesondere Fußball) und Männlichkeit führt dazu, dass vor allem homosexuelle Sportler sich nur schwerlich outen können und Angst haben müssen, Gewalt und/oder ein Karriereende in Kauf zu nehmen. Im Kontext von hegemonialer Männlichkeit Schwul-sein mit Feminin-Sein in Verbindung gebracht wird und eine „verweiblichte Männlichkeit“ als defizitär und Gegenteil zur sportlichen Männlichkeit gesehen wird. Diese Vereinnahmung des Sports durch hegemoniale Männlichkeit wirkt sich ebenfalls auf die Sportlerinnen aus. So wird Fußballerinnen oftmals pauschal unterstellt, lesbisch zu sein, da sie eine „männliche“ Tätigkeit ausführen. Lesbische Personen hingegen sind (insbesondere wenn sie nicht normativer Weiblichkeit entsprechen) im Sport nicht gern gesehen, da Frau-Sein auch maßgeblich durch das Begehren des Mannes definiert wird. Und sie dieses Verständnis stören.

Menschen, die sich als trans* oder inter*ident, homo- oder bisexuell identifizieren, finden so nur schwerlich einen Platz in der Welt des Sports und werden nur selten sichtbar.

Eine heteronormative Ordnung im Sport wird immer zu Ausschluss und Verletzung führen. Geschlechtliche und Sexuelle Vielfalt ist nicht etwa eine Besonderheit, sondern Teil unserer globalen Realität. Die misogyne Logik des Sports sorgt nicht nur dafür, dass FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-Binäre, Trans*, Agender) diskriminiert, ausgeschlossen und abgewertet werden, sondern auch schwule/bisexuelle Männer und Menschen Gewalt erfahren und unsichtbar gemacht werden [1]. Sich gegen Homo-, Bi-, Inter*-, Trans*-Feindlichkeit einzusetzen, heißt auch Betroffenen zuzuhören, zu unterstützen und sich selbst zu fragen, inwiefern mensch selbst dazu beiträgt dieses System aufrecht zu erhalten.

Denn, wie Megan Rapinoe sagt:

“You can’t win a championship without gays on your team – it’s never been done before, ever. That’s science, right there!” [2] – also: Go Gays!

Diskriminierung gegen Inter*Personen am Beispiel Caster Semenya und Leichtathletikverband World Athletic

Der moderne Sport basiert auf dem Leistungs-, Konkurrenz- und Rekordprinzip. Es gibt Gewinner*innen und Verlierer*innen, für alle gilt: der Start ist gleich, das Ergebnis ist ungleich und die Unterschiedlichkeit bestimmt die Platzierung. In der jüngeren Entwicklung kam es zu erstaunlichen Höchstleistungen und Rekorden, die sich nur durch Bruchteile einer Sekunde von den Ergebnissen der Konkurrent*innen abheben. Um Chancengerechtigkeit und einen fairen Wettkampf zu garantieren, wird es deshalb immer wichtiger, die im Sport versprochene Gleichheit der Ausgangslage für alle Sportler*innen zu wahren. Die Kategorisierung nach Geschlecht in eine Wettkampfklasse für Frauen und eine für Männer soll dies ermöglichen. Denn das Geschlecht gilt als natürlicher Indikator für die generelle Leistungsfähigkeit einer Person.

Caster Semenya ist eine der besten Läuferinnen Südafrikas. Sie ist zweifache Olympiasiegerin und dreifache Weltmeisterin auf der 800-Meter-Strecke. Doch mit ihrem Debüt 2009 begann nicht nur ihre Siegesserie, sondern auch die Spekulationen über ihre geschlechtliche Zugehörigkeit. Denn Semenyas Körper produziert überdurchschnittlich viel Testosteron. Testosteron gilt als ‚das männliche Hormon‘. Wenn angeborene körperliche Merkmale auf genetischer, hormoneller oder anatomischer Ebene nicht allesamt entweder in die Kategorie‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ fallen, nennt sich dies Intergeschlechtlichkeit (Inter*). Semenya identifiziert sich als Frau. Im Sport wird sie als Inter*Person kategorisiert.

Die Bestimmungen der World Athletics zur Wettkampfklasse der Frauen legen Frau-sein anhand eines Maximalwerts von körpereigenem Testosteron fest. Semenya, deren Körper natürlicherweise diesen Maximalwert überschreitet, zählt somit als eine Person mit einem unfairen Vorteil. Sie gefährdet die Chancengleichheit des Wettkampfs. Im Kontext der Annahme einer überlegenen männlichen Physiologie wird Testosteron bei Frauen zum Kennzeichen eines unfairen körperlichen Vorteils.

Hier machen wir eine kurze gedankliche Pause. Unfaire körperliche Vorteile? Kommt mir bekannt vor. Die Physiologie von Sportler:innen hat immer auch Einfluss auf ihre Leistung…Michael Phelps hat besonders große Hände (Schwimmen), Simone Biles (Turnen) ist besonders klein. Beiden verhilft dies zu Höchstleistungen. Niemand würde sagen dies sei unfair. Kein Mensch würde Medaillen und Titel zurückfordern. Und trotzdem, wenn es um das Geschlecht geht, wird daran festgehalten, dass ein Testosteronwert über 5 nmol pro Liter Blut ungerecht ist. Dabei gibt es hier keine aussagekräftige Studien, die eine Leistungssteigerung durch Testosteron belegen würden [3]. In der Leistungsklasse der Männer ist der Testosteronwert übrigens irrelevant, dabei variiert er ca. zwischen 12 und 30 nmol.

Semenya darf laut World Athletics nur unter der Voraussetzung der Hormonsenkung in der Leistungsklasse der Frauen an den Start gehen (theoretisch dürfte sie aber bei den Männern starten). Semenya zog vor Gericht, doch die Regeln von World Athletics bleiben bestehen. Obwohl das Gericht festhält, dass Semenya durch die Bestimmungen Diskriminierung erfährt. So erweckt eine Kategorisierung in Leistungsklassen auf Basis des Geschlecht den Anschein, die einzige Möglichkeit zu sein die Werte des Sports zu konservieren. Sie erscheint als Notwendigkeit. Es wurde sich dafür entschieden das herrschende System der geschlechtlichen Leistungsklassen aufrecht zu erhalten, statt zu hinterfragen, ob das Geschlecht als ausschlaggebender Indikator für Leistungspotential geeignet ist. Caster Semenya soll aus der Leichtathletik bzw. ihren besten Disziplinen ausgeschlossen werden. Semenya jedoch gibt nicht auf. Trotz einiger Rückschläge hat sie sich entschieden vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen [4]. Ihr Kampf ist stellvertretend für alle Frauen und Inter*-Personen. Es ist ein Kampf für Sichtbarkeit, Chancengerechtigkeit und gegen Fremdbestimmung.

„Alles, was wir möchten, ist die Erlaubnis frei zu laufen, als die starken und furchtlosen Frauen, die wir sind und immer waren.“ – Caster Semenya

In diesem Kampf ist sie nicht allein. In der WDR Doku „Kampf ums Geschlecht“ (2017) konnten einige Sportler:innen zu Wort kommen, die aufgrund ihrer Intergeschlechtlichkeit Gewalt durch den Leichtathletikverband erfahren haben [5]. Sie berichteten von Ausschlüssen, Drohungen, Operationen ohne Einverständnis und Nachbehandlung. Die betroffenen Sportler:innen litten unter Depressionen, körperlichen Beschwerden und mussten teilweise Verfolgung und Exklusion in ihren Heimatländern befürchten.

Trans*-Personen und Trans*-Frauen im Sport

Es wird deutlich Fairness in der Leistungsklasse der Frauen zu schaffen, scheint für den Sport eine schwierige Sache zu sein. Seit Frauen sich im 20. Jahrhundert einen Platz in den internationalen Wettbewerben erkämpft haben, müssen sie beweisen, dass sie auch wirklich Frauen sind. Mit dem Eintritt der Frauen in den Olympischen Sport im Jahre 1900 begann auch die Praxis der Weiblichkeitsüberprüfung. Seit den 1960er Jahren müssen Sportlerinnen sich immer wieder medizinischen sex tests unterziehen, die ihre Weiblichkeit verifizieren sollen. Diese Verfahren unterliegen einem stetigen Wandel entlang der medizinischen Erkenntnisaktualisierung. Wie oben dargelegt wird heutzutage die geschlechtliche Zuordnung anhand der Messung körpereigener Testosteron-Werte vorgenommen. Diese Überprüfung und Kategorisierung soll demnach dem Schutz von Frauen dienen und ihnen einen Raum im Sport geben, in dem sie wegen ihrer unterlegenen Weiblichkeit nicht von den leistungsfähigeren Männern aus dem Sport verdrängt werden können. Tatsächlich bestand früher die Angst Männer könnten sich als Frauen verkleiden und so probieren mehr Siege einzufahren. Wer letzten Endes als Frau bei einem Wettkampf teilnehmen darf ist und war schon immer streng reguliert.

Jene Regeln betreffen aber nicht nur inter*geschlechtliche Personen, auch Trans*-Personen werden in den meisten Fällen aus dem Sport ausgeschlossen. Trans*Personen sind Menschen, deren bei Geburt zugewiesene Geschlecht und deren Geschlechtsidentität nicht übereinstimmt.

Die Anwesenheit von Trans*-Personen im Sport wird kontrovers diskutiert [6]. Hier lässt sich kein globaler Trend erkennen. Stattdessen gibt es hier ein ständiges Hin und Her.

Einerseits wurden in den USA Regelungen eingeführt, die es Trans*Mädchen verbieten an den Schulwettkämpfen teilzunehmen [7]. Begründet wurde jene Entscheidung mit dem “Schutz von Cis-Frauen”. Dieses Argument kommt dir bekannt vor? Mir auch, meinetwegen hätte es ruhig im 20. Jahrhundert verweilen können.
Andererseits hat sich neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard als erste Trans*Frau für die Olympischen Spiele in Tokyo qualifiziert [8]. In Israel gibt es die erste trans*gender Schiedsrichterin [9]. Layshia Clarendon setzt in der WNBA ein Zeichen, Layshia ist trans* und non-binary [10].

Kontroverse Diskussionen gibt es auch im Rugby. Hier werden Trans*Frauen ausgeschlossen, weil aufgrund sie ihrer körperlichen Beschaffenheit Cis-Frauen eher verletzen würden. Wie kommt der Rugby-Verband auf diese Idee? In Schweden wurde eine Studie mit 11 Teilnehmenden durchgeführt, die Verletzungsrisiken zwischen ungleichen Spieler:innen erforschen sollte. Die Pointe: unter den Teilnehmenden war keine Trans*Frau. “Zahlreiche Spielerinnen haben die Entscheidung von World Rugby deshalb in den letzten Wochen scharf kritisiert. Auch der Deutsche Rugby-Verband lehnt diesen Regeländerungsvorschlag, wie auch viele andere nationale Verbände, mit aller Deutlichkeit ab” [11].

Diskriminierung gegen Homo-, Bisexuelle, Trans*- und Inter*-Personen im Sport ist eng mit einer misogynen Einstellung verknüpft. Umso wichtiger ist es sich für Chancengerechtigkeit, Emanzipation und Selbstbestimmung von FLINTA* im Sport einzusetzen! Wir sind bunt, wir sind laut!

Glossar

Gender im Sport: https://gender-glossar.de/s/item/100-sport

Geschlecht: https://www.uni-due.de/genderportal/gender.shtml

Geschlechtsidentität: https://queer-lexikon.net/2017/06/15/geschlechtsidentitaet/

Hegemoniale Männlichkeit: https://de.wikipedia.org/wiki/Hegemoniale_Männlichkeit

Heteronormativität: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet

Intergeschlechtlichkeit/Inter*: https://inter-nrw.de/was-ist-intergeschlechtlichkeit/

Misogynie: https://de.wikipedia.org/wiki/Misogynie

Transgender: https://queer-lexikon.net/2017/06/08/transgender/

Transgeschlechtlichkeit/Trans*: https://gender-glossar.de/t/item/54-trans-geschlechtlichkeit

Zweigeschlechtlichkeit/Binarität:https://www.uni-due.de/genderportal/geschlechtergeschichte

Weitere Informationen

[1]Wie Sexismus, Misogynie und LSBTIQ-Feindlichkeit zusammenhängen: https://www.regenbogenportal.de/informationen/wie-sexismus-misogynie-und-lsbtiq-feindlichkeit-zusammenhaengen

[2]https://www.theguardian.com/football/2019/jun/28/cant-win-without-gays-usa-megan-rapinoe

[3]https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/darum-ist-das-urteil-gegen-caster-semenya-so-umstritten/

[4]https://www.deutschlandfunk.de/umstrittene-regel-des-leichtathletik-weltverbandes-caster.890.de.html?dram:article_id=493181

[5]https://www.tagesspiegel.de/sport/ard-dokumentation-kampf-ums-geschlecht-der-grausame-umgang-mit-intersexuellen-im-sport/25062844.html

[6]https://www.deutschlandfunkkultur.de/trans-personen-im-spitzensport-wettkampf-als-politisches.966.de.html?dram:article_id=496516

[7]https://www.deutschlandfunk.de/kulturkampf-im-sport-in-den-usa-wann-ist-eine-frau-eine-frau.890.de.html?dram:article_id=495716

[8]https://www.deutschlandfunk.de/gewichtheberin-laurel-hubbard-die-erste-transgender.1346.de.html?dram:article_id=497276
htps://onherturf.nbcsports.com/2021/05/13/laurel-hubbard-weightlifting-transgender-women-not-threat-womens-sports/

[9]https://www.sportschau.de/newsticker/dpa-israels-erste-schiedsrichterin-mit-transgender-identitaet-story100.html

[10]https://www.outsports.com/2020/12/10/22167377/layshia-clarendon-wnba-trans-non-binary-genderqueer-basketball-instagram

[11]https://www.deutschlandfunk.de/protest-aus-den-eigenen-reihen-rugby-weltverband-schliesst.1346.de.html?dram:article_id=484418
http://www.totalrugby.de/content/view/10346/46/

http://www.totalrugby.de/content/view/10478/36/

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