Wie in letzter Zeit häufig berichtet, findet die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer diesen Winter in Katar statt, einem Land, in welchem Menschenrechte durch Regierung und Legislatur aktiv unterdrückt werden. Die prekäre Situation und der Tod vieler Arbeitskräfte aufgrund der Zustände beim Aufbau der Infrastruktur gibt es hierbei zu nennen. Zudem ist Homosexualität in Katar illegal, mit bis zu 7 Jahren im Gefängnis strafbar und LGBTIQA+ Kataris werden laut Human Rights Watch weiterhin Konversionstherapie ausgesetzt und können durch Sicherheitsdienste brutal angegriffen und bis zu 6 Monate ohne Gerichtsverfahren in Gefangenschaft gehalten werden, da ihre Identität vom Staat als Krankheit eingeordnet wird.
Ein weiteres Schlagwort, welches oft in diesen Berichterstattungen vorkommt, ist Toleranz. Kritiker*innen der Weltmeisterschaft boykottieren diese aufgrund fehlender Toleranz, Spieler und Verbände möchten durch Armbinden und T-Shirts ein Zeichen für die Toleranz setzen, der bezahlte Werbepartner David Beckham sieht in dem Turnier die Chance, “die Welt zu einem toleranteren und integrativeren Ort zu machen“, FIFA Präsident Gianni Infantino zählt Toleranz zu einem der wichtigsten Werte, welcher durch diese WM vermittelt werden sollte. Von all diesen Menschen, egal aus welcher Perspektive, wird Toleranz als Maxime für Gesellschaften gesehen; eine tolerante Gesellschaft sei eine gerechte, ein toleranter Mensch sei ein guter.
Doch wird hinterfragt, ob Toleranz in diesem Kontext ein wirklich so passender Begriff ist. Zunächst wäre dort die in den genannten Beispielen demonstrierte Ambivalenz der Toleranz, wie Karl Popper mit seinem Toleranz-Paradox beschreibt: “Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen” (Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde). Der Aufruf zur Toleranz der Werte einer Regierung, welche Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht toleriert, ruft zur gleichen Zeit also zur Intoleranz auf.
Des Weiteren ist auf die Bedeutung des Wortes an sich hinzuweisen: der Begriff leitet sich vom lateinischen ‚tolerare‘ ab, was so viel bedeutet wie ‚erdulden/ertragen‘. Der Duden definiert Toleranz neben seinen wissenschaftlichen Funktionen als „das Tolerantsein; Duldsamkeit“. Das reine ‚dulden‘ einer Person oder Personengruppe hat, laut Dr. Rainer Forst, Professor der politischen Theorie und Philosophie, also eine negative Vorbestimmung: Ich dulde etwas, was eigentlich nicht richtig oder moralisch ist. Wird in dem Katar-Beispiel also Toleranz für LGBTQIA+ Menschen gefordert, wird keine Änderung der Werte eingefordert, sondern lediglich der Einstellung. Es wäre laut dieser Definition weiterhin vertretbar und eventuell sogar lobenswert, Homosexualität als Krankheit zu sehen, solange niemand ohne seinen Willen ‘behandelt‘ wird. Unterschiedliche Lebensrealitäten werden eben nicht zelebriert, sondern toleriert. Forst sagt dazu in einem Beispiel zum Thema Rassismus, wir sollten „auf eine Gesellschaft hinwirken, die den Rassismus überwindet, nicht eine, die tolerante Rassisten produziert“.
Obwohl auch argumentiert werden kann, dass der Begriff sich im allgemeinen Sprachgebrauch von seinen lateinischen Wurzeln entfernt hat, scheint es aufgrund der positiven Kontexte, in denen der Begriff genannt wird, für manche naheliegend, ihn durch ein Wort mit positiver Konnotation zu ersetzen, welches benachteiligte Bevölkerungsgruppen im Beigeschmack nicht weiterhin als falsch bewertet oder andere für das Zurückhalten von aktiver Diskriminierung lobt. Begriffe wie Wertschätzung, Gleichwürdigkeit oder Anerkennung könnten zum Beispiel dazu dienen, dem positiven Willen vieler zu entsprechen.
Quellen
- https://www.hrw.org/news/2022/10/24/qatar-security-forces-arrest-abuse-lgbt-people
- https://www.stern.de/sport/fussball/wm-2022/wm-in-katar–david-beckham-sieht-turnier-als-plattform-fuer-inklusion-und-toleranz-32925162.html
- https://www.fifa.com/de/about-fifa/president/news/fifa-praesident-infantino-fordert-die-welt-auf-sich-vor-dem-anstoss-zur-fifa
- https://www.deutschlandfunk.de/toleranz-ueber-das-ertragen-100.html
- https://www.duden.de/rechtschreibung/Toleranz
- https://www.derstandard.at/story/2000133858220/das-toleranzparadoxon